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Gesundheit als Megatrend entwickelt sich zunehmend zu einer Norm, die sozialen Druck auf jeden Einzelnen ausübt. Was Menschen erwarten – und welche Rolle die Lebensmittelbranche dabei spielt.
Gesünder leben – das ist für eine wachsende Anzahl der Deutschen nicht nur einer der berühmten guten Vorsätze, die zum Jahreswechsel gefasst werden und kurz danach wieder in Vergessenheit geraten. Gesundheit ist zum globalen Megatrend avanciert, spielt eine zentrale Rolle in unserer individualisierten Gesellschaft und wird zunehmend Lebenssinn und Lebensziel. Wer gesund lebt, so der Tenor, lebt ein gutes Leben – so eine Erkenntnis der Trendstudie „Gesundes Leben in der Zukunft“, die das Frankfurter Zukunftsinstitut unlängst publiziert hat. Gesundheit ist danach eine sehr komplexe Angelegenheit, bei der die Verantwortung für gesundes Leben nicht ausschließlich in der Macht des Einzelnen liegt, in seiner genetischen Disposition und seinen Verhaltensweisen. Gesundes Leben ist in ein Wirkungsnetzwerk eingebettet, zu denen die individuellen Lebens- und Umgebungsbedingungen zählen, also beispielsweise die individuellen Arbeitsplatzsituation, die Umweltbedingungen, das Wohnen und das individuelle Gesundheitswissen. Die Aufforderung, sich mit der eigenen Gesundheit auseinanderzusetzen, begegnet uns an allen Stellen des Alltags – insbesondere auch beim Einkauf: Gesundheitsprodukte sind in Deutschland nicht mehr nur in Apotheken oder Drogeriemärkten erhältlich, sondern immer stärker auch im Lebensmittelhandel inklusive Discountern zu finden.
Fit für die Herausforderungen des Berufsalltags
Die vor allem dem Einzelnen zugewiesene Gesundheitsverantwortung erzeugt einen hohen sozialen Druck und entwickelt sich immer mehr zu einer geforderten Norm – nicht zuletzt als Verpflichtung der Solidargemeinschaft gegenüber. Aus wirtschaftlicher Sicht geht es – selbst bei der Optimierung der psychischen Gesundheit – vor allem um eines: Effizienzsteigerung. Schlank, sportlich, gesund und fit sein, um die Herausforderungen im Berufsalltag optimal meistern zu können: Diesen Idealvorstellungen vom eigenen Ich folgten bisher neben jungen leistungsbewussten Menschen auch Ältere – hier vor allem als Anti-Aging unter dem Aspekt, die fortschreitende Alterung zu verzögern. Dieses Streben nach größtmöglicher Effizienz, so sagt Studienautorin Verena Muntschick, habe allerdings auch etwas Paradoxes, denn trotz dieses sozialen Drucks sei das Verhalten der Menschen längst nicht in allen Bereichen gesünder geworden. Weltweit sind laut WHO immer weniger Menschen körperlich ausreichend aktiv, verhalten sich konträr zu gesellschaftlichen Erwartungen und/oder den eigenen Wünschen nach einer gesünderen Lebensweise. In Deutschland hat das Credo der leistungsorientierten Selbstoptimierung vor allem zu einem geführt, zur Selbst-Erschöpfung, resümieren die Verfasser der Trendstudie.
Achtsamer Umgang mit Gesundheit und Körper
Allerdings kündigt sich hier offenbar eine Trendumkehr an: Gesundheit wird von den Menschen inzwischen stärker als ein körperlich-seelischer Zustand definiert, bei dem die eigene Zufriedenheit eine wichtige Rolle spielt. Man wird achtsamer im Umgang mit sich selbst und nimmt die Einflüsse von Ernährung, Wohlbefinden am Arbeitsplatz und der Wirkung des Lebensumfelds auf Körper und Psyche stärker wahr. Im Zentrum steht dabei das Erkennen/Wissen, was wirklich wichtig ist für das eigene Gesundheitsbefinden, und dies hat immer auch mit Genussfähigkeit und Bewegungsverhalten, mit Spaß zu tun – nicht mit Leistung. Angestrebt wird eine Gesundzufriedenheit, ein achtsamer und gelassener (nicht: nachlässiger!) Umgang mit der Gesundheit, das Loslassen von dem Gedanken leistungsorientierter Selbstoptimierung. Auch hier ist die junge Generation ein starker Treiber; weiterhin zeigen die Älteren eine besonders hohe Affinität zum Thema Gesundzufriedenheit.
Ernährung im Fokus der Gesundheitsvorsorge
Gesundheitsvorsorge liegt nach Meinung junger Leute in Deutschland vor allem in den eigenen Händen. 91 Prozent finden, dass jeder Mensch selbst für ein gesundheitsbewusstes Leben verantwortlich ist. Zugleich wird allerdings auch der Ruf nach Unterstützung durch staatliche Institutionen lauter, weil immer mehr Menschen erkennen, dass das Thema Gesundheit in ein komplexes Wirkungsfeld eingebettet ist und die eigenen Einflussmöglichkeiten sehr weitreichend sind. 86 Prozent der 14- bis 34-Jährigen wünschen sich beispielsweise mehr Anreize von den Krankenkassen einschließlich entsprechender Belohnungssysteme für ein nachweislich gesundes Leben. 74 Prozent halten das Schulfach „Gesundheit“ für sinnvoll, sogar 92 Prozent fordern eine verpflichtende Ernährungsbildung schon in Kitas und Schulen. Und eine höhere steuerliche Belastung von allgemein als ungesund eingestuften Lebensmitteln – insbesondere fett- oder zuckerreiche – können sich immerhin 43 Prozent vorstellen. Fast sechs von zehn Deutschen sind zudem der Meinung, der Staat solle gesundheitsgefährdende, ungesunde Lebensmittel aus dem Wirtschaftskreislauf heraushalten und die Menschen damit „vor sich selber“ schützen. Dahinter steht auch der Wunsch nach einer gesünderen Konsumwelt und einer Wirtschaft, die die Gesundheit ihrer Kunden ernst nimmt und selbst Verantwortung übernimmt, indem sie ein breites gesundes Warenangebot liefert, anstatt es mit ungesunden Optionen zu verwässern.
Erwartungen an LEH, gesunde Produkte in Vordergrund zu rücken
Spürbar wird, dass sich die gesunde Ernährung als Teil der Gesundheitsvorsorge auch immer mehr zu einer Norm entwickelt. Der soziale Druck rührt hier nicht zuletzt aus der Angst, Opfer und nicht Profiteur des Solidarprinzips der Krankenkassensysteme zu sein. Er macht aber auch eines deutlich: Menschen werden künftig immer weniger bereit sein, einen Lebensmittelmarkt zu akzeptieren, bei dem die Gesundheit von Produkten nicht an erster Stelle steht! Neben dem Lebensmittelhandel als Distributeur von gesunden Waren rücken natürlich auch die Sortimente anderer Einzelhandelsbranchen in den Fokus: etwa Bau- und Heimwerkermärkte, die auf ihre Weise zu einer gesünderen Umwelt beitragen können, so beispielsweise beim Wohnen, etwa in der Innenausstattung von Häusern und Wohnungen oder dem Outdoor-Living. Hier könnte etwa ein entsprechendes Angebot an Wandfarben oder Baustoffen, die Chemikalien und Verunreinigungen in der Luft absorbieren, für eine bessere Luft sorgen.